Aktuelles
 
 

Das war´s!

 
 

Düsseldorf, 29. Dezember 2015

 
Der Abschiedsbrief von Baumgeistsekretär Andreas Vogt an die Himmelgeister Kastanie
 
Liebe Himmelgeister Kastanie, Lieber Heimatbaum, Lieber Lieblingsbaum,
 
jetzt passiert mit Dir das, was mit jedem Lebewesen auf dieser Erde eines Tages passiert.
Du wurdest geboren und jetzt bist Du gestorben.
Das Sterben gehört zum Leben.
 
Aber Du gehst nicht von uns, sondern Du gehst uns nur voraus.
 
Sei Dir bewußt bewußt, ich, bzw. wir alle werden Dir eines Tages folgen. Deshalb leben wir jeden Tag bewußt in Hamonie und Achtsamkeit mit der Natur.
 
Denn nicht die Natur braucht uns, sondern wir die Natur.
 
Einige Jahre warst Du bereits krank, ein Bakterium und ein Pilz machten Dir immer mehr zu schaffen. Ich beobachtete das besorgt bei meinen täglichen Besuchen.
 
Deutschlands prominentester Baumdoktor gab Dir vor zwei Jahren eine exklusive Privatbehandlung. Er impfte Dich, versuchte Dein Immunsystem zu vitalisieren, machte Stabilitäts- und Zugtests mit den ästen in Deiner Baumkrone, er schnitt Totholz aus den ästen und nahm eine Verseilung Deiner starken äste vor.
 
Es war nicht die Miniermotte, die Dich letztendlich erledigte, sondern ein Bakterium, gegen das es kein Mittel bei weissblühenden Rosskastanien gibt.
 
Seit 2007 kamen wir jedes Jahr im November mit viele Kindern zu Dir, sammelten Dein Laub ein, in dem die lästige Miniermotte überwintert und entsorgten Dein Laub.  Da kamen mal schnell einige Hundert Kilo Laub zusammen. Im Hochsommer brachten wir Dir mit der Feuewehr Wasser.
 
Den Orkanen Kyrill und Ela konntest Du erfolgreich trotzen.
 
Doch schon im letzten Jahr hattest Du kaum noch Kastanienfrüchte und kaum noch Blätter. Dein Immunsystem machte schlapp und doch freutest Du Dich immer wieder über die vielen goßen, kleinen, alten und jungen Verehrer/Innen, welche Dich zu jeder Tages und Nachtzeit besuchten, Dir Mut zusprachen, Dich umarmten und Dir persönliche Geschichten erzählten.
 
Zwei Kriege überlebtest Du. Der schlimmste Tag in Deinem Leben war der 6.März 1945, als Tausende von Bomben, Granaten und Artilleriegeschossen der Alliierten rund um Dich herum in den Himmelgeister Rheinbogen einschlugen.
 
Noch nie traf Dich ein Blitz.
 
Auch ein Brand in einer direkt neben Dir gelegenen Feldscheune am 23.11.1972 konnte Dir nichts anhaben, da die Himmelgeister Feuerwehr Deine äste mit dem letzten Löschwasser löschte.
Ich wünsche mir von Dir sehr, das eines Tages jemand schreibt und mitteilt, was am 23.11.1972 wirklich passiert ist.
 
Mit viel Glück wurdest Du dank unserer Rettungsaktion im April 2006 vor der Fällung gerettet. Gerade bei unserer Unterschriftenaktion erlebte ich, wie viele Menschen Dich lieben und verehren. Unser Freundeskreis Himmelgeister Kastanie gab sich sehr viel Mühe und hatte es sich zum Ziel gesetzt, Dich zu einem nahezu "heiligen" Baum zu machen, der von niemandem mehr angerührt werden sollte. Das war uns gelungen.
 
Am 25. April 2009 heiratete Dich die Bräutigamseiche im 530 km entfernten Eutin, ebenfalls ein Baum mit Postanschrift, aber viel älter.
 
Jetzt ist die Bräutigamseiche Witwe geworden.
 
über die seit 2007 über 5.500 zugestellten Briefe an Dich habe ich mich sehr gefreut. Die Briefe machten mich aber auch nachdenklich, traurig und sentimental. Meist kam der sympathische Postbote Ekrem Dönder zu Dir in den Rheinbogen geradelt und warf die Post in Deinen Briefkasten. Alle Briefe wurden von mir beantwortet. Kinder, welche Dir 2007 schrieben oder bei Benefizaktionen bei Dir waren, schreiben noch heute als Erwachsene an Dich.
 
Jetzt schreibe ich Dir diesen Brief und Deine offizielle Postanschrift und Briefzustellung wird jetzt eingestellt.
 
2009 bekamst Du ein eigenes Lied "Stark wie ein Baum", welches auf CD für einen guten Zweck verkauft wurde.
 
Sogar drei Düsseldorfer Oberbürgermeister gaben Dir seit 2006 die Ehre und besuchten Dich. Und einmal kam das amtierende Düsseldorfer Prinzenpaar zu Besuch an der Himmelgeister Kastanie.
 
2015 drehte die "Sendung mit der Maus" bei Dir und alles rund um Deine Geschichte als Baum kam in eine Zeitkapsel, welche nun für 100 Jahre im Kirchturm von St. Nikolaus vesteckt ist.
 
Im Sommer 2015 wurde ein Baby an Deinem Stamm vom Jüchtgrafen Ingo mit echtem Rheinwasser symbolisch getauft und vor einigen Jahren feierte ein Himmelgeister Brautpaar bei Dir ihre Hochzeit. Wir organisierten viele Aktionen für den guten Zweck, die Zeitungen und das Fernsehen berichteten über Dich. So wurdest Du zu einer Berühmtheit, die in jedem Stadtführer verzeichnet ist.
 
Jetzt bist Du gestorben. Niemals hätte ich gedacht, das es plötzlich so schnell geht.
 
Aber wir haben unsere gemeinsame, intensive Zeit stark genutzt und voneinander gelernt.
 
Ich habe mit Dir jede Sekunde meines Lebens genossen. Schon als Kind war ich begeistert und fasziniert von Dir.
 
Einmal kletterte ich als Kind in Deine riesige Baumkrone und kam nicht mehr hinunter.
 
Als mein Vater starb, warst Du für mich da, als meine Mutter starb, gabst Du mir Trost und als mein bester Freund Egon vor drei Jahren uns vorausging, fand ich bei Dir Halt.
 
So ging es auch vielen anderen Menschen, die Dir schrieben. Jetzt schreibe ich Dir erstmals diesen Abschieds - und Dankesbrief.
 
Dein Schwesterbäumchen "Kastaniellchen", eine Infotafel, Jüchtgraf "Ingo" und der Briefkasten bleiben da.
 
Nächstes Jahr feiern wir leider ohne Dich ein rauschendes Fest zum 10.jährigem Bestehen des Freundeskreises. Das kleine Kastanienbäumchen bekommt dann eine 10 jährige Baumelfe zugestellt. Du hättest dabei Deinen Spaß.
 
Unser Freundeskreis der Himmelgeister Kastanie wird weiterhin die in den Briefkasten eingeworfenen Briefe beantworten und mit kreativen Benefizaktionen Akzente setzen.
 
Ein Teil von Dir ist noch da und Du bist noch weiterhin mit der Erde im Himmelgeister Rheinbogen verwurzelt.
 
Das verspreche ich Dir.
 
Ich bin traurig und dankbar für alles, was ich mit Dir erleben durfte.
 
Du bist alt und tot und so wurde es Zeit zu gehen. So ist das Leben und das ist völlig normal.
 
Ich akzeptiere das schwermütig.
 
Beim nächsten Sturm wärst Du komplett zusammengebrochen. So trocken und morsch war Dein Holz.
 
Aber etwas von Dir bleibt nachhaltig erhalten. Dein Baumgeist "Jüchtwind" lebt in einem Rest Deiner imposanten Baumhülle als Kunstdenkmal weiter. Eine große Ehre für Dich, eine große Freude für mich.
 
So verwandelst Du Dich von einem Naturdenkmal zu einem Kunstdenkmal.
 
Das vor Jahrzehnten auf Deiner Stammrückseite eingeritzte Herz schlägt weiter fort.
 
Mein Vorbild Heinz Rühmann hat es mit dem Titel seines Buches in 1982 nicht besser ausdrücken können: "Das war`s".
 
"Das war`s" auch für Dich.
 
Ich werde Dich sehr vermissen und nie vergessen.
 
Du warst ein einzigartiger, besonderer Baum. Das haben die Menschen gewußt und gespürt.
 
Dein Lieblingsmensch und Baumgeistsekretär
 
Andreas
31.12.2015
 
Seid alle STARK WIE EIN BAUM:
 
So stark wie ein Baum,
so wollen wir alle sein,
doch stark ist kein Baum,
läßt man ihn lang allein,
er braucht einen Freund,
genau wie Du und ich,
erhalte und pfleg ihn, dann kommt der sicherlich,
der Jüchtwind aus Himmelgeist, er schützt auch sicher Dich.
 
Und kommt einmal der Tag,
der Baum ist nicht mehr da,
dann merken wir ganz schnell,
es wird kein Traum mehr wahr.
Ein Leben ohne ihn - das kann doch gar nicht sein.
Wenn uns die Luft zum Atmen fehlt,
versinken wir im Rhein.